Habe ich Angst, die Liebe meines Kindes mit dem anderen zu teilen? Habe ich vielleicht Angst, mein Kind an den anderen zu verlieren?
Je mehr der Fragen mit „ja“ beantwortet werden können, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass über das Kind unbewältigte eigene Gefühle aus der zerbrochenen Partnerschaft, wie tiefe Verletztheit, Verlust an Selbstwert, Trauer, Verlassenheit, Enttäuschung, Ängste, Wut und auch Rachsucht ausgelebt und abreagiert werden. Viele dieser Gefühle stammen möglicherweise noch aus der eigenen Ursprungsfamilie und dort erlebten schmerzlichen Erfahrungen von Trennung und Zurückweisung.
Zu Beginn des Trennungsprozesses kommt ein gewisses Maß an unbedachter Beeinflussung der Kinder gegen den verlassenen oder verlassenden Partner bei so gut wie allen Eltern vor. Die Kinder erleben den Trennungsprozess mit, die starken Emotionen der Eltern sind „ansteckend“, sie kommen zu den eigenen kindlichen Gefühlen hinzu und verstärken eigene Verlust- und Verlassenheitsängste. Im Laufe der Verarbeitung der Trennung nimmt diese Tendenz jedoch ab und den Eltern wird klar, wie sehr gerade jetzt ihre Kinder die Versicherung brauchen, dass sie von keinem der beiden wichtigsten Menschen in ihrem Leben „geschieden“ werden.
Wenn jedoch ein Elternteil dem Kind gegenüber vom anderen ein verachtenswertes Feindbild zeichnet, wird diesem Kind ein Schaden zugefügt, der kaum jemals wieder gutzumachen ist. Die von einem Elternteil erwartete und vom Kind befolgte Abwertung, Ablehnung und Zurückweisung des anderen Elternteils hinterlässt in der Psyche von Kindern und Jugendlichen für das weitere Leben tiefe Spuren.
Daher ist die gezielte Beeinflussung von Kindern gegen den anderen Elternteil eine Form psychischer Kindesmisshandlung. Der Selbstwert jedes Kindes und seine unverletzte Identität hängen davon ab, ob es auch nach der Trennung von beiden Eltern ein positives Bild behalten und seine Beziehung mit ihnen ungehindert leben kann. Kinder wollen auf ihre Eltern stolz sein, zwei „wertvolle“ (nicht perfekte!) Eltern zu haben, bildet die Basis für ein intaktes Selbstwertgefühl. Kinder kennen auch die Schwächen ihrer Eltern, sie sind meist toleranter und großzügiger als sich die Eltern gegenüber Kinderschwächen und gegenüber den Schwächen des Partners zeigen. Kinder lieben ihre Eltern so, wie die Eltern sind.
Die jungen Erwachsenen, die erkennen, was sie durch die Koalition mit einem unversöhnlichen Elternteil unwiderbringlich verloren haben, wenden sich nicht selten von diesem zutiefst enttäuscht ab. Sie fühlen sich benutzt, missbraucht und verraten. Junge Erwachsene sind stolz auf Eltern, die sich im Trennungsprozess „fair und anständig“ (Zitat Jan, 26 Jahre) verhielten.