„In Großeltern und Enkelkindern verschmelzen Vergangenheit und Zukunft zur Gegenwart“ (M. Mead)

Mit der Geburt eines Enkelkindes wird die Verbindung zwischen den Generationen deutlich, die Einbettung des neuen Erdenbürgers in die Geschichte zweier Familien und ihrer Vorfahren.
Großelternschaft ist ein Übergang im Lebenszyklus und bietet eine Fülle von Möglichkeiten, diese Rolle zu gestalten. Großeltern können eine Unterstützung sein für alleinerziehende und für arbeitende junge Eltern bei der Kinderbetreuung, sie können Ruhepol und Krisenhelfer sein für die Kinder gestresster Eltern, sie können Märchenerzähler und Wissensvermittler sein, beliebtes Ferienziel, ebenso Spielgefährten wie Autoritätsperson. Zwei wichtige Dinge haben Großeltern meist mehr als Eltern: Zeit und Geduld.
Großelternschaft lässt die eigene Erziehungszeit wieder aufleben, die damit verbundenen Erfahrungen, Erinnerungen, Erfolge und Misserfolge. Sie lädt ein zur Versöhnung mit der Rolle als Vater und Mutter und den damit verbundenen Lebensjahren.
Mehr als zwei Drittel der Menschen über 65 Jahre haben Enkelkinder, viele von ihnen haben Urenkel. Diese Erfahrung kann für ältere Erwachsene eine vorher ungeahnte Bereicherung ihres Daseins bedeuten. Großeltern und Enkelkinder haben oft eine ganz besonders innige Beziehung, weil sie unbelastet ist von hochgesteckten Erziehungszielen, von schwerwiegenden Verantwortlichkeiten und den normalen Eltern-Kind-Konflikten. Sie dürfen einfach nur Spaß miteinander haben und die Freude aneinander genießen.
Eine Gratwanderung für alle Großeltern ist die Balance zwischen unerwünschter Einmischung und desinteressierter Abwendung. Einmischung in Erziehungsfragen kann besonders übel vermerkt werden. Hier seien alle Großeltern erinnert: „Ratschläge sind auch Schläge“ – dann nämlich, wenn sie ungebeten gegeben oder aufgedrängt werden. Es ist leichter gesagt als getan, die Bedürfnisse von drei oder gar vier Generationen zu erkennen und zu benennen. Auch Großeltern müssen Farbe bekennen und klar sagen, wozu sie bereit sind und wozu nicht. Gegen den eigenen Willen, sozusagen „mit zusammengebissenen Zähnen“ Kleinkinder hüten wird zum Bumerang: die Großeltern fühlen sich ausgenutzt, die Eltern sind frustriert und die Enkelkinder fühlen sich lieblos umhergekarrt.
Eine weitere Herausforderung ist das Zusammenwirken mit dem anderen Großelternpaar. Spätestens an hohen Feiertagen entzünden sich in vielen Familien Gefühle von Konkurrenz und Eifersucht, wenn alte Traditionen auf den Kopf gestellt werden: Bei wem verbringt die junge Familie den heiligen Abend? Wo suchen die Enkelkinder zuerst die Ostereier? Wer macht die größeren, die „pädagogisch wertvolleren“ Geschenke? Holz oder Plastik, Elektronik oder Mechanik?
Der Übergang zur Großelternschaft kann ein hervorragender Anlass sein, die eigenen Familienbeziehungen neu zu überdenken und positiv weiterzuentwickeln. Spätestens jetzt wäre es an der Zeit, die Partner des erwachsenen Kindes in die Familie aufzunehmen.
Belastete oder abgebrochene Beziehungen zwischen erwachsenen Kindern, Schwiegerkindern und Eltern können durch die Geburt eines Enkelkindes heilen und wiederaufgenommen werden. Nur oberflächlich funktionierende Beziehungen zwischen Eltern und erwachsenem Kind können jedoch durch die Geburt eines Enkelkindes zerbrechen. Jahrelang schwelende Konflikte zwischen erwachsenem Kind und Eltern können plötzlich über ein Enkelkind zwischen den Generationen ausgetragen werden.
Dramatische und kritische Lebensereignisse stellen höchste Anforderungen


Der Tod des eigenen Kindes ist ein von allen Menschen traumatisch erlebtes Lebensereignis. Der Tod des erwachsenen Kindes macht da keine Ausnahme. Für trauernde Eltern ist der Kontakt zum Enkelkind eine Möglichkeit, die Beziehung zum eigenen Kind fortführen zu können. Das Enkelkind ist dem eigenen Kind ähnlich, es steht ihnen in dessen Gestalt, Aussehen, Temperament oder ganz spezifischen Eigenheiten tröstlich gegenüber. Für den hinterbliebenen Partner mag sich dies ganz anders darstellen: der Kontakt zu den Schwiegereltern mag die Wunde des Verlustes immer neu aufreißen, ihre verstärkten Bemühungen um das Enkelkind mögen wie ein Versuch erscheinen, dieses Kind in einem bedrohlichen Ausmaß für sich zu beanspruchen. Hier braucht es einen offenen, sensiblen von gegenseitigem Verständnis getragenen Umgang mit dem Verlust des erwachsenen Kindes, des Partners und des Elternteils, um die Wunden nicht unwissentlich zu vertiefen.
Die Scheidung des erwachsenen Kindes vom Schwiegerkind stellt Großeltern vor Probleme, die sie sich davor in ihrem schlimmsten Träumen nicht ausgemalt hätten. In der Mehrzahl drohen Eltern von Söhnen den Kontakt zu ihren Enkelkindern zu verlieren, wenn sich das Paar trennt und die Kinder bei der Mutter bleiben. Diese schmerzliche Erfahrung hat europaweit zur Bildung von Großeltern-Initiativen geführt. Trotz gesetzlich verbrieften Rechts auf Kontakt zwischen Großeltern und ihren Enkeln (§1685 BGB) nutzt der gerichtliche Weg bislang wenig, da die Großeltern beweisen müssen, dass der Kontakt dem „Kindeswohl dient“. Gegen den Willen des betreuenden Elternteils, zumeist der Schwiegertochter, zuweilen des Schwiegersohnes, ist noch immer wenig auszurichten. Für die Großeltern und die Enkelkinder ist diese Trennung eine überaus leidvolle Erfahrung. Besonders Großeltern, welche die Enkelkinder jahrelang betreut haben, aber auch Großeltern, für welche das Zusammensein mit den Enkelkindern einen Teil ihres Lebensglücks bedeutet, entwickeln psychosomatische Erkrankungen oder Symptome traumatischer Stressreaktionen: Depressionen, Angstzustände, Schlafstörungen, Essstörungen und die Verschlimmerung bestehender altersbedingter Krankheiten sind keine Seltenheit.

Unwissentlich werden in vielen Fällen die Weichen für solch unheilvolle Entwicklungen bereits lange vor, spätestens jedoch nach der Trennung gestellt: jetzige Grosseltern verhehlen nicht, dass sie die Partnerwahl nur widerwillig akzeptieren, bei einer Trennung stellen sie sich kompromisslos hinter ihren erwachsenen Sohn/ihre erwachsene Tochter und ergreifen uneingeschränkt dessen/deren Partei. Sie übernehmen die einseitigen Schuldzuweisungen ihres erwachsenen Kindes gegen den Partner und vergrößern so das Konfliktpotential des Trennungspaares. Im schlimmsten Fall bekommen die Enkelkinder die Abwertungen ihrer Mutter/ihres Vaters durch die Großeltern mit und werden dadurch zusätzlich verstört.
Nun setzt ein dynamischer Prozess ein, der die Entfremdung der Kinder vom weggezogenen Elternteil und auch die Entfremdung der Enkelkinder von den Großeltern nach sich zieht. Die Kinder schlagen sich auf die Seite des betreuenden Elternteils und dieser Großeltern, um sich aus dem unerträglichen Loyalitätskonflikt zu befreien. Dabei stehen sie einmal mehr, einmal weniger unter dem Erwartungsdruck des Elternteils, mit dem sie leben und von dem sie sich abhängig fühlen. Sie werden zum Bündnispartner, zur Stütze und zum Tröster gemacht und dazu angehalten, den anderen Elternteil und dessen Familie ebenso abzulehnen wie es der Elternteil vorlebt, mit dem sie täglich zusammen sind.
Der Trennungskonflikt zwischen den eigenen Eltern wird nun auch zwischen Elternteilen und Schwiegereltern und zusätzlich zwischen den beiden Großelternpaaren ausgetragen, Wie sollen sich Kinder und Enkelkinder in einem solchen Konfliktlabyrinth noch zurechtfinden?
Schmerz, Wut, Enttäuschung, Missverständnisse, Gefühle von Versagen, von Schuld und Scham begleiten Kinder und Enkelkinder in ihre zukünftigen Beziehungen, wo sie das erlebte leidvolle Szenario erneut inszenieren werden. Durch unheilvolle Bündnisse, durch einseitige Parteinahme und durch das Errichten von Feindbildern wird der Weg bereitet für den Abbruch von Familienbeziehungen, der oft von Generation zu Generation weitergegeben wird. Jedoch können Bündnisse wieder aufgelöst werden: „Ich halte (ab jetzt) zu den Enkelkindern, ihr löst Eure Probleme bitte alleine“, Parteinahme kann durch Allparteilichkeit neutralisiert werden: „Ich verstehe Deine Sichtweise und Deine Wut und ich verstehe die Sichtweise Deiner Exfrau und ihre Enttäuschung“. Feindbilder können auf diese Weise abgebaut werden: „du hast diesen Mann/diese Frau als Vater/Mutter Deiner Kinder ausgesucht, jetzt trennt Euch so wie ihr es bestenfalls könnt. Ich jedenfalls werde mich nicht mit dem Vater/der Mutter meiner Enkelkinder anlegen“.
Es ist zu jedem Zeitpunkt im Leben einer Familie möglich, die Beziehungen der eigenen und der erweiterten Familie zu klären, zu befrieden und zu versöhnen. Das bedeutet eine große Herausforderung an jedes einzelne Familienmitglied. Der Wunsch nach Aussöhnung kommt häufig aus der Sehnsucht nach Ruhe vor dem Streit und aus dem Wunsch, den eigenen Kindern und Enkelkindern ein friedliches Modell vorzuleben und mitzugeben.
Für Familientherapeuten ist es gleichermaßen eine Herausforderung wie eine Freude, mitzuerleben, wie Familien beginnen, eigene Beziehungsmuster zu durchschauen und zu überprüfen, Familienregeln auf ihre Tauglichkeit hin zu betrachten, die Grenzen zwischen den Generationen wieder aufzurichten, unheilvolle Bündnisse über Generationsgrenzen aufzulösen und durch gesunde, tragfähige Eltern-Großeltern, Eltern-Kinder und Großeltern-Enkel-Beziehungen zu ersetzen.